Sandregister mit verschiedenen Sandproben

SANDuhren – Kirchenuhren

Die SANDuhr in der Kirche

Schon frühzeitig war die SANDuhr mehr als nur ein einfacher Zeitmesser. Die optische Wirkung des im Glase eingefangenen, ruhigen und gleichmäßigen SANDflusses machte die SANDuhr zu einem Symbol der Gelehrsamkeit und der Vergänglichkeit. So finden sich neben der SANDuhr im Studierzimmer zunehmend auch Darstellungen von Geistlichen bei ihrer Arbeit oder im Gebet. Hier wird der Geistliche gern am Schreibtisch sitzend und von Büchern umgeben dargestellt. Verschiedene andere im Raum dargestellte Gegenstände können dann bestimmte Tugenden wie Fleiß, Macht, Reichtum, Glaubensfestigkeit usw. symbolisieren. Die SANDuhr wird hierbei mehr und mehr zum Inbegriff der Gelehrsamkeit. Im 15. Jahrhundert beginnend, werden im 16. und 17. Jahrhundert mehr und mehr Darstellungen von Heiligen mit SANDuhr geschaffen. Selbst bei der Darstellung biblischer Szenen findet sich nun hin und wieder eine SANDuhr, wobei ihr auch hier eher ein symbolische Charakter in Bezug auf Gelehrtheit zuzuordnen ist. Vor allem der „Heilige Hieronymus“ ist ein über lange Zeit wiederkehrendes Motiv. Für den Anspruch auf eine zeitliche Bemessung von Andachts- oder Gebetszeiten gibt es noch keinen Hinweis.

Bild   Maria Verkündigung Fresco, D. Ghirlandaio, San Gimignano, 1482

Wann und wo die SANDuhr zum ersten Mal als Redezeitmesser in einem Gottesdienst verwendet wurde ist nicht bekannt. Die früheste bekannte Abbildung eines Kircheninnenraumes, bei der eine SANDuhr zur Bemessung der Predigtzeit an der Kanzel zu entdecken ist, stammt von 1520. Das sind genau drei Jahre nachdem der Reformator Martin Luther seine 95 Thesen an das Portal der Wittenberger Kirche angeschlagen hatte (am 31.10.1517). Der älteste literarische Hinweis kommt aus England. Dort wird in der Beschreibung der Geschichte von Lambeth von Allen angegeben, dass 1522 in der Pfarrkirche eine Kanzel aufgebaut wird, an der ein Stundenglas angebracht wurde.

Von jetzt an nahm die Entwicklung der SANDuhr als Redezeitmesser zur Bemessung der Zeitdauer einer Predigt einen stürmischen Verlauf. Die Verwendung von SANDuhren zum Gebrauch in der Kirche trugen jedoch keinen symbolischen oder meditativen Charakter, sondern wurden eindeutig zur Bemessung der Predigt, also zur Zeitmessung benötigt.

Die Anschaffung von SANDuhren zur Bemessung der Redezeit in den Kirchen hatte eine klare Ursache. Mit der Reformation bekam die Predigt eine stärkere Bedeutung im Gottesdienst. Durch die Übersetzung der Bibel ins Deutsche, wurden das Wort und die Schrift für alle zugänglich.

Der Gebrauch der lateinischen Sprache wurde immer mehr zurückgedrängt. In Folge dessen dauerten die Gottesdienste immer länger. Predigten wurden länger und länger gehalten, so dass die Handwerker und Bauern der Arbeit immer länger fern blieben. Hier kam es häufig zu massiven Beschwerden gegenüber den Kirchenvorständen, so dass die Visitatoren der Reformation, die Kirchenvorstände und die Landesherren regulierende Maßnahmen ergreifen mussten. Es wurden Kirchenordnungen erlassen, die die Länge der Predigten vorschrieben und zugleich auch das anzuschaffende Messgerät vorgaben.

Die Entscheidung für die SANDuhr fiel allerdings nicht wegen ihres Symbolcharakters, sondern wegen der einfachen Ablesbarkeit und des günstigen Anschaffungspreises.

In vielen Kirchenordnungen wurde die Verwendung von SANDuhren vorgeschrieben. Zwei ausgewählte Beispiele sollen die Vielzahl dieser Regelungen unterstreichen:

Die Vereinbarungen des gesamten Ministeriums zu Zerbst unter einander und mit dem Rathe zu Zerbst, zusammengestellt vom Superintendenten Theodor Fabricius 1545, beinhalten: „Uf das aber solliches gehalten moge werden, soll ein Saiger von drei viertel stunden vor dem canzel stehen, damit der prediger sehen moge, wann er schliessen soll, und der custer soll auch zween zaiger, einen von einer stunden, den anderen von drein viertel stunden bei sich behalten, und den saiger von einer stunden zur hochmessen, und den zeiger von drein viertel stunden aber zu allen anderen predigen gebrauchen und umkehren, so bald der predicant uf die canzel gehet, und wann also der seiger von einer oder dreien viertel stunden ausgelauffen, so soll er mit einer darzu verordneten schellen clingeln, damit der predicant schliesse und der gemein urlauben moge.“

Eine Kirchenordnung von 1749 – überliefert im Pfarrarchiv von Kirchheimbolanden (Rheinland-Pfalz), regelt:
“1. Dass künftig jeder Pfarrer sich mit dem Konzept seiner Predigt so einrichten soll, dass er bei dem öffentlichen Gottesdienst, einschließlich Gebet und Predigt „nicht länger als dreiviertel Stunde auf der Kanzel sich aufhält“.
2. Dass „ein jeder Pfarrer sogleich bei seinem Auftritt auf die Kanzel“ die dort anzubringende SANDuhr „umdrehen und auf ihren Ablauf achten“ soll.
3. Dass dieses festgesetzte Zeitmaß bei allen Gottesdiensten an Sonn- und Feiertagen, auch bei Wochengottesdiensten und Kasualpredigten genau beachtet werden müsse.
4. Dass derjenige Pfarrer, der dieser Verordnung zuwider handelt, „mit einer Straf von 2 Gulden, ad pios usus“ zu belegen ist.
5. Dass auch darauf geachtet werden müsse, dass die Verordnung peinlich genau befolgt werde. Hierfür sind die Kirchenvorsteher verantwortlich. Aber auch die Dorfschultheißen, Mayer und Küster! Jeder Beamte, für sich allein, oder „durch einen zu bestellenden Aufseher“ muss bei seiner Untertanenpflicht auf die Beobachtung dieser Verordnung achten und die „Übertretung sogleich beim Amt denuncieren“.

Der Hinweis darauf, das Problem von zu lange währenden Predigten mit den unterschiedlichsten Mitteln zu bekämpfen, zeigen neben den Kirchenordnungen auch andere Formen von Bemühungen eine Verbesserung dieser Zustände zu erreichen.

1635 erließ König Christian IV. eine Verordnung mit dem Zusatz, dass bei Verstoß ein Bußgeld erfolgen würde. „Wer länger als eine Stunde seinen Sermon continuoeren würde, soll mit einer Mulkt von etwa 4 oder 6 Schilling belegt werde.“

In Husum erwehrte man sich auf freundlichere Art der pastoralen akademischen „Gelahrtheit“: „Sie versprachen dem Pastor Tezlerius, der es unter geschlagenen sieben Viertelstunden nicht tat, jährlich einen fetten Ochsen, wenn er künftig von dieser üblen Gewohnheit lassen wolle.“

„Doch selbst die besten Kirchenordnungen und die zur Durchsetzung angeschafften SANDuhren konnten der Redefreudigkeit einzelner Pastoren keine Grenzen setzen. Es gab immer wieder deutliche Überschreitungen der Regelungen, wie sie in überlieferten Anekdoten so treffend übermittelt werden: „Um die Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert hatten die Pfarrer vielerorts auf der Kanzel noch eine SANDuhr stehen, nach deren Ablauf sie die Länge der Predigt bemaßen. Ein alter Dorfpfarrer, der ziemlich lange Predigten hielt, drehte – nachdem die SANDuhr schon zweimal abgelaufen war – diese beim dritten Teil der Predigt noch einmal mit den Worten um: Nun noch, Geliebte und Andächtige in Christo, das dritte und letzte Gläschen.“

Eine zweite Begebenheit bestätigt nicht nur die Redefreudigkeit einiger Prediger, sondern zeigt auch das bewusste Überschreiten der vorgeschriebenen Zeitspannen: „Wie oft mögen die Augen, die mit dem Einschlafen kämpften, durch den Anblick des sich zum Ende neigenden Vorrats erfrischt worden sein. Nur durfte kein freudiger Redner oben stehen wie jener gefürchtete, der gern gegen die Trunksucht predigte und, wenn er ins Feuer gekommen war, das Zeitglas wieder umzudrehen pflegte mit dem Spruche: „Ei, so lasset und denn noch ein Gläslein genehmigen.“

Nachdem viel über die Redefreudigkeit der Prediger gesagt wurde, ist es nicht verkehrt auch ein gegenteiliges Beispiel zu erwähnen. Um 1780 wird von einem Schiff der Indien-Compagie, der Comte d’Argenson, berichtet. Der Bordseelsorger bediente sich nur gebrauchter SANDuhren beim Lesen der Messe in der Annahme, dass SANDuhren wegen der Abnutzung der Durchlauföffnung schneller hindurch rieselten. So hoffte er, eine Messe in 20 Minuten zu lesen.

KanzelSANDuhren standen nicht immer auf den Kanzelbrüstungen. Sie wurden an allen denkbaren Positionen, in der möglichen Reichweite des Predigers befestigt. Der Variantenreichtum ist hierbei unerschöpflich, in Bauform und künstlerische Gestaltung. Grund genug für das SANDprojekt KanzelSANDuhren.