SANDuhren – Eieruhren
Die Eieruhren
Beim Begriff „Eieruhr“ weiß Jedermann sofort, worum es sich handelt. Der Gedanke darüber nähere Betrachtungen anstellen zu wollen, klingt erst einmal nicht sonderlich interessant. Bei genauerem Hinschauen ergeben sich jedoch Fragen und Erkenntnisse, die so nicht zu erwarten sind. Heutzutage wird der Begriff Eieruhr fast immer mit dem Begriff SANDuhr sowie seit Anfang des 20. Jahrhunderts ihrem mechanischen Bruder in Verbindung gebracht. Der Schwerpunkt der Überlegungen liegt naturgemäß bei der SANDuhr.
Da die Assoziation streng genommen nicht ganz richtig ist, muss man also die Begriffe SANDuhr und Eieruhr ein wenig genauer unter die Lupe nehmen und ihre Bedeutung hinterfragen.
SANDuhren gab es spätestens seit Anfang des 14. Jahrhunderts nachweislich in Italien. Dort findet sie sich zuerst als Attribut der „Temperantia“, der Tugend der Mäßigung. Bereits nach einigen Jahren hielt die SANDuhr Einzug als Zeitmesser eines Geistlichen. Um 1500 nahm die künstlerische Wiedergabe von SANDuhren sprunghaft zu; vor allem durch die Möglichkeiten des neu erfundenen Buchdrucks. Von dieser Zeit an sind SANDuhren als Zeitmesser bei Turnieren, im Handwerk, in der Kirche auf der Kanzel, bei der Seefahrt und zunehmend auch als Attribut des Todes anzutreffen. Eine künstlerische Darstellung in der Küche, wo die Frühstückseier gekocht werden sollen, finden wir jedoch nicht. Auch die Literatur hält sich zurück. Einen Hinweis auf die Verwendung der SANDuhr in der Küche, als Hilfsmittel zum Garen von Nahrungsmitteln, ist vor dem 19. Jahrhundert nicht existent. Obwohl es sogar Darstellungen von Eierbechern in Pompej und am Hofe des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. gab, sind bisher keinerlei Hinweise bekannt, womit man die Garungszeit bemessen hat.
Wann die „SANDuhr“ nun zur „Eieruhr“ wurde, ist nicht eindeutig klar. Auf der Suche nach dem Begriff Eieruhr finden sich jedoch vereinzelt Literaturhinweise. 1855 beschrieb Ferdinand Schade im Uhrmacher-Lexikon „Eier-Uhren: Außer den ersten von Hele und seinen Zeitgenossen verfertigten Taschenuhren, den so genannten lebendigen Nürnberger Eiern, die zu ihrem Verschluss ein ovalrundes, glattes, fast kugelförmiges Gehäuse haben, hat man auch auf Eierschalen verzeichnete Sonnen-Uhren, welche man Stunden-Eier oder Eier-Uhren zu nennen pflegt. Sie haben in der Mitte, den Zahlen und Stundenlinien gegenüber, ein kleines Loch, das der Uhr als Zeiger dient. Das Stunden-Ei wird… .“ Es folgt im Weiteren eine Beschreibung zur Handhabung dieser Art von Sonnenuhren. Von der SANDuhr ist keine Rede. 1902 wird im Lexikon der Uhrmacherkunst von Carl Schulte der Begriff Eieruhr gar nicht aufgeführt. In der 1905 von Gustav Speckard überarbeiteten und ergänzten Ausgabe der „Geschichte der Zeitmesskunst“ von Claudius Saunier, wird der Begriff Eier-Uhr wiederum nur im Zusammenhang mit den frühen ovalen mechanischen Uhren gebraucht. Die in diesem Buch erwähnten SANDuhren werden nun auch als Gebrauchsgegenstand in der Küche erwähnt, wobei der Begriff Eieruhr nicht verwendet wird. 1907 findet in Meyer´s Konversationslexikon der Begriff Eieruhr keine Erwähnung. Unter dem Stichwort SANDuhr, findet sich hier ebenfalls der Verweis auf den Einsatz in der Küche.
Erst 1930 nannte das Lexikon Der Große Brockhaus nun erstmals die Eieruhr und verweist auf den Begriff SANDuhr, damit verknüpften sich dir Begriffe Eieruhr und SANDuhr. Der Gedanke, dass die SANDuhr auch Eieruhr genannt wird, weil sie mit gemahlenen Eierschalen gefüllt ist, entbehrt zwar nicht der Logik, ist aber eher unwahrscheinlich und auch nicht nachgewiesen. Wie aus den historischen Quellen hervorgeht, ist die SANDuhr offensichtlich erst sehr spät zu ihrem heute so geläufigen Namen Eieruhr gekommen.
Ganz gewiss war die SANDuhr schon über viele Jahrhunderte in der Bevölkerung bekannt. Ob vom Gebrauch in der Kirche, der Seefahrt, dem Lehren und Studieren oder aus Handwerk und Gewerbe her, sei dahingestellt. Auch die Verwendung in der Küche wird nichts Ungewöhnliches gewesen sein – als feuchtigkeitsunempfindlicher Zeitmesser war sie dafür ja auch bestens geeignet. Volkstümliche Sprachweisen und umgangssprachliche Begriffe haben sich schon immer schneller durchgesetzt, als es die öffentlichen Regelungen vermochten. Ein Beispiel sind die verschiedenen Begriffe in der deutschen Umgangssprache für das Wort „Geld“; ohne dass diese in einem Nachschlagewerk auch nur erwähnt werden. Es sind rund einhundert Jahre her, dass der Begriff Eieruhr erst spät, um 1900, Einzug hielt und sich sehr schnell fest etablierte.
Bild Eieruhren für Jedermann, sächsisches Erzgebirge, Anfang 20. Jh.
Sehr wahrscheinlich hat dies mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu tun. Ein gelegentliches Nutzen der SANDuhr in der Küche durch einen kleinen Teil der Bevölkerung führte bestimmt nicht zum Namen Eieruhr. Es musste schon ein massenhafter Einsatz aller Stände und Klassen erfolgt sein. Es ist am begründetsten, die Geschichte der Eieruhr mit der des Frühstückseis in Verbindung zu bringen. Der regelmäßige Genuss eines gekochten Eies bei der einfachen Bevölkerung vor dem 20. Jahrhundert gehörte eher zur Ausnahme. Erst mit der umfassenden Industrialisierung und einer damit einhergehenden Verbesserung der Lebensverhältnisse, konnte sich auch der Luxus des Eierkochens auf alle Bevölkerungsschichten ausdehnen. Dieser Zeitpunkt stellt für die SANDuhr die Zeit dar, als Eieruhr als einfaches und preisgünstiges Hilfsmittel die Haushalte zu erobern.
Um den Anfang des 20. Jahrhunderts wurden nun SANDuhren hergestellt, die in ihren Laufzeiten und der Ausstattung der Gehäuse für das Kochen von Eiern bestens geeignet waren. Die ersten Typen wurden per Patent oder Gebrauchsmusterschutz gesichert. So findet sich eine Reihe von Eintragungen in den Patentregistern. Charles Aked berichtet 1980, dass es ca. 21 englische Patente für SANDuhren und Geräte gab, die nach dem SANDuhr- Prinzip arbeiten. Die meisten davon betreffen das Kochen von Eiern.
Auch in Deutschland war die SANDuhr patentrechtlich geschützt worden. Es gibt zwar keine offizielle Statistik über SANDuhrenpatente zum Zwecke des Eierkochens, doch die Auswertung der Patenschriften blegt, dass sich zwischen 1890 und 1911 von insgesamt 14 SANDuhranmeldungen immerhin sechs Anmeldungen mit dem Eierkochen beschäftigten. Beispielsweise beantragte im Januar 1900 eine sächsische Firma den Gebrauchsmusterschutz für ein vollständig geschlossenes Eieruhrengehäuse aus Celluloid.
Bild Eieruhren wie sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Einsatz kamen
Der Begriff Eieruhr muss um 1900 in Deutschland als geläufig bezeichnet werden, obwohl damit nicht generell die SANDuhr gemeint war, wie eine Mitteilung von August 1901 in der Deutschen Uhrmacherzeitung beweist. Dort wird eine neue Eieruhr vorgestellt, die mit Einstellhebel und Zeiger durch Aufziehen eines mechanischen Uhrwerkes drei, vier und fünf Minuten abmisst. Noch heute werden sowohl die mechanischen Kurzzeitwecker als auch die SANDuhren als Eieruhren bezeichnet.
Unsinnigerweise wird auch bei den SANDuhren, denen man sofort ansieht, dass sie keineswegs für den Gebrauch in der Küche geeignet sind, der Begriff Eieruhr verwendet. Es liegt die paradoxe Tatsache vor, dass heute jede SANDuhr mit dem Synonym Eieruhr (weniger als Stundenglas) bezeichnet wird, jedoch nicht jede Eieruhr tatsächlich auch eine SANDuhr ist. Aber hält es das Volk mit Begriffen: Sie sind nicht immer ganz logisch, aber dafür gut verständlich.
Durch den geringen Preis und die einfache Handhabbarkeit wurden die SANDeieruhren in solch großen Massen hergestellt, dass sich der Begriff Eieruhr sehr schnell auch welterweit durchsetzte. SANDuhren, die einem anderen Zwecken dienten, mussten sich dem neuen Namen mehr oder weniger freiwillig unterordnen. Vom Beginn des 20. Jahrhunderts an bis in die Gegenwart hinein, erfreut sich die SAND- Eieruhr nach wie vor großer Beliebtheit. Es wird schwer fallen, einen Menschen in Europa zu finden, der einen solchen Zeitmesser noch nie gesehen hat. Viele Menschen besitzen in ihrem Haushalt eine SANDeieruhr und manche benutzen sie sogar noch heute um die Kochzeit der Eier abzumessen. Die unendliche Vielfalt der in großen Stückzahlen produzierten Zeitmesser belegt diese Aussage. Dabei gibt es SANDeieruhren von einfachster und billiger Bauart, aber auch von anspruchsvoller und aufwendig verarbeiteter Ausführung. SANDeieruhren sind heute ein lohnendes Sammelgebiet.
Bild Porzellanfiguren mit Eieruhr, heute ein begehrter Sammlungsgegenstand, 1. Hälfte 20. Jh.
Eine kleine Anekdote unterstreicht den geläufigen Umgang mit der SANDuhr als Zeitmesser zum Garen von Eiern: „Kochprobe – Isaac Newton (geb. 1643) war oft sehr zerstreut. Eines Tages wurde seine Haushälterin in dem Augenblick abberufen, als sie ihrem Herren ein Ei kochen sollte. Sie stellte den Gelehrten also selbst an den Herd, gab ihm in die Rechte das Ei, in die Linke eine SANDuhr und schärfte ihm ein, sobald das Wasser koche, das Ei in den Topf zu legen und eine bestimmte Zeit darin zu kochen. Dann könne er es heraus nehmen. Nach einer halben Stunde kehrte sie in die Küche zurück und fand den Gelehrten tief in Gedanken versunken am Herd stehend, die aufsteigenden Dämpfe des kochenden Wassers beobachtend. Das Ei hielt er nach wie vor in der Rechten, aber die Uhr lag im brodelnden Wasser.“ Der Wahrheitsgehalt dieser Begebenheit ist nicht ganz sicher, doch zeigt diese 1994 in der Zeitschrift Alpha veröffentlichte Geschichte, dass selbst zum Ende des 20. Jahrhunderts die SANDeieruhr nichts an Aktualität und Selbstverständnis eingebüßt hat.
Laufzeiten der Eieruhren
Neben der Klärung des Begriffes Eieruhr, ist ein Blick auf die Vielfalt der hergestellten Exponate interessant. Die Hersteller der SANDgläser mussten der Zielstellung entsprechen, ein Ei richtig gar kochen zu können. Es war also eine Laufzeit einzurichten, die diese Forderung erfüllte. Was aber ist die richtige Garungszeit für ein Ei? Da bekanntermaßen die Geschmäcker verschieden sind und gerade beim hart oder weich gekochten Frühstücksei sich die Gemüter erregen können, waren SANDuhren herzustellen, die diesen unterschiedlichen Wünschen gerecht werden konnten.
Das Zitat einer Niederschrift von Commandant Vivielle von 1934 zeigt auf amüsante Weise, wie wichtig die Laufzeit auch bei der Eieruhr sein kann: „Madame Millet-Robinet, die Autorin der Zeitschrift „La Maison Rustique des Dames“, lehrte Generationen von jungen Mädchen in ihren Büchern die kulinarische Kunst. Sie hat sich jedoch nicht genau auf die Zeit festgelegt, die man braucht, um ein Ei zu kochen. „Tauchen sie ein Ei in das kochende Wasser in einer Kasserole und geben sie es drei Minuten später wieder heraus.“ ordnete die Autorin an, um jedoch zwei Zeilen weiter festzustellen: „Man gibt sie in das kochende Wasser und nach fünf Minuten sind die Eier gekocht.“ Drei oder fünf Minuten ? Die gelehrte Dame ist vorsichtig: „Man verwendet um die Zeitdauer, die die Eier kochen müssen zu bestimmen, kleine SANDuhren mit drei bis fünfminütiger Dauer. Sie sind sehr praktisch und sehr genau.“ Offensichtlich genau … mit zwei Minuten Spielraum. Lachen sie nicht: das ist eine Genauigkeit, die wir vielen Hausfrauen wünschen würden.“
Bild Eieruhren mit drei Gläsern für unterschiedliche Laufzeiten (links um 1960, mitte und rechts um 2000)
Bild SANDuhren mit aufgedruckter Unterteilung für 3 bis 5 Minuten
Die Hersteller von SANDuhren haben es gelernt jeden Bedarf abzudecken. So gibt es eine große Menge von SANDuhren mit einer Laufzeit von drei Minuten. Eine unerschöpfliche Vielfalt zeigt sich auch bei den SANDuhren mit fünfminütiger Laufdauer. SANDuhren mit vier Minuten Laufzeit habe ich allerdings bisher noch nicht gesehen. Doch für jeden Geschmack wurde das Richtige produziert. Waren in einem Haushalt verschiedene Interessen vertreten – und das ist ziemlich oft der Fall – musste auch diesen unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung getragen werden. Die Bandbreite reicht von SANDgläsern mit aufgedruckter Minuteneinteilung bis zu Gläserzusammenstellungen mit unterschiedlichen Laufzeiten.
Auch Eieruhren mit einstellbaren Laufzeiten von drei, vier oder fünf Minuten wurden produziert. Für diejenigen, die immer wieder vergaßen auf den Ablauf der SANDuhr zu achten, waren diese Luxusausführungen mit akustischem Signal zu haben. Hierbei musste das SANDglas nach oben gewendet werden. Durch eine Verstellmöglichkeit ließ sich hier der Lagerpunkt des SANDglases ein wenig verschieben. Wenn dann der SAND ausgelaufen war, hatte sich der Schwerpunkt so weit verlagert, dass das Glas nach unten kippte und der am Glas befindliche Klöppel an die Glocke anschlug. Je nach Einstellung des Lagerpunktes, der auf Laufzeiten von drei bis fünf Minuten verschiebbar war, konnte so eine genaue Garzeit erreicht werden.
Bild Eieruhr EXAKT, mit einstellbarer Zeitdauer (3, 4 u. 5 Minuten) und akustischem Signal, um 1950
Bild Eieruhr CONTROLLO, mit einstellbarer Zeitdauer (3, 4 u. 5 Minuten) und akustischem Signal, um 1950
Bild Eieruhr, Ekosta, mit einstellbarer Zeitdauer (3, 4 u. 5 Minuten) und akustischem Signal, 1. Hälfte 20. Jahrhundert
Bild Eieruhr, Ekosta, mit einstellbarer Zeitdauer (3, 4 u. 5 Minuten) und akustischem Signal, 1. Hälfte 20. Jahrhundert
Bilder Einstellmöglichkeiten der Garungszeit nach Buchstaben und Minuten
Da nicht jeder wusste, wie viele Minuten so ein Ei kochen soll, gab es auch dafür die praktische Lösung. Die Garungszeit konnte bequem in Buchstaben angegeben werden: H (= hart), M (= mittel) und W (= weich). So hatte auch der ungeübte „Amateureierkocher“ keine Probleme mit dem richtigen Ergebnis.
In vielen Haushalten versieht die SANDuhr noch heute ganz unauffällig ihren Dienst. Nur wenige Menschen nehmen dabei wahr, dass es sich hierbei nicht nur um ein praktisches Hilfsmittel handelt, sondern dass die SANDuhr als Zeitmesser des täglichen Gebrauchs über viele Jahrhunderte den anderen Uhrentypen zumindest ebenbürtig war.